Tunnel 57: Fluchthelfer – Helden oder Gangster
DST Kulturelles zum 30. Jahrestag des Mauerfalls
Wochenlang im Dunkeln schwer körperlich arbeiten, auf engstem Raum, ohne sanitäre Anlagen, immer mit der Angst im Nacken, entdeckt zu werden: Eindrucksvoll schilderte Hans Jörg Bühler im Rahmen von DST Kulturelles seine Erlebnisse als Fluchthelfer im Berlin von 1964.
Das Auditorium war mit mehr als 100 Personen voll besetzt, und trotzdem hätte man eine Stecknadel fallen hören können: Spannend und eindrucksvoll erzählte der Zeitzeuge deutsch-deutscher Geschichte vom Bau eines der längsten Fluchttunnel von Ost- nach West-Berlin, der zwischen dem 3. und 5. Oktober 1964 57 Menschen zur Flucht verhalf.
Anlässlich des 30. Jahrestages des Mauerfalls war das Thema in diesen Tagen sehr präsent. Aber einen Zeitzeugen direkt befragen zu können bringt Geschichte näher, als es jede Fernsehdokumentation kann: Aus erster Hand berichtete Hans Jürgen Bühler davon, wie er sich als junger Student oft direkt nach der Vorlesung in eine stillgelegte Bäckerei schlich. Wie er mit anderen Studenten wochenlang am Stück einen Tunnel in zwölf Metern Tiefe von der Bernauer Straße 97 unter der Mauer hindurch in die Strelitzer Straße grub. Und wie die jungen Männer sich Fragen stellten wie: Bekommen wir hier unten Luft? Wohin mit dem ganzen Schutt? Wie legen wir Stromleitungen für Licht? Was ist, wenn man uns oben hört? Ist ein Stasi-Spion unter uns, der das Projekt verrät?
Bis hierher klingt das Ganze nach einem spannenden Abenteuer. Aber nicht ohne Grund hatte Hans Jörg Bühler dem Abend den Titel „Fluchthelfer – Helden oder Gangster?“ gegeben. Denn die Geschichte des Tunnels 57 ist zum einen für immer verbunden mit der größten Massenflucht in der Geschichte der Berliner Mauer aber auch mit deren tragischem Ende: dem Tod des Grenzsoldaten Egon Schultz. Aus der Sicht eines Betroffenen erfuhr das Publikum, wie die Stimmung kippte, als Stasi-Spione den Fluchttunnel entdeckten, im Getümmel der DDR-Grenzsoldat Egon Schultz erschossen wurde und die Fluchthelfer durch die Presse in Ost und West an Sympathie in der Öffentlichkeit verloren.
„Bis zum Mauerfall dachten wir, einer aus unserer Gruppe hätte den Grenzsoldaten erschossen“, erläutert Hans Jörg Bühler das bittere Ende der Fluchtaktion, das sie jahrzehntelang verfolgte. Erst bei der Einsicht in die DDR-Akten in der Gauck-Behörde in den neunziger Jahren erfuhr die Gruppe, dass entgegen der Presseberichte ein DDR-Grenzsoldat die tödlichen Schüsse abgegeben hatte. Zu spät für den vermeintlichen Todesschützen der Fluchtgruppe, der laut Hans Jörg Bühler sein Leben lang unter dieser Last gelitten hatte und kurz vor Einsicht in die Akten verstorben war.
Wie sehr der Mauerbau die Menschen immer noch bewegt, zeigte die anschließende Fragerunde, bei der viele Besucher die einmalige Gelegenheit nutzten, einen Zeitzeugen direkt befragen zu können.
Auch beim anschließenden Buffet wurde viel diskutiert über die Finanzierung der Fluchtaktionen, Stasi-Spionage im Westen und deren Verflechtungen in der Politik.
„DST Kulturelles“ bot damit wieder einmal einen spannenden und bewegenden Abend, der viele Zuschauer sicher noch lange beschäftigen wird.
Nicole Knüppel